• Februar 26, 2021

Der Münchner Flüchtlingsrat nimmt die Debatte um Antiziganismus im gesamtgesellschaftlichen
Kontext zum Anlass, um diesen im Asylverfahren zu kritisieren.

Zwei Tage nach dem diesjährigen Internationalen Holocaust Gedenktag, an dem auch an die
500.000 ermordeten Sint:ezza und Rom:nja im Nationalsozialismus erinnert wird, wurde im
Westdeutschen Rundfunk eine Sendung mit antiziganistischen Inhalten ausgestrahlt. In der
Talkshow waren sich die vier geladenen weißen Gäste darüber einig, dass der ,Z.’-Begriff nicht
problematisch sei. Nach der zutiefst diskriminierenden und rassistischen Sendung wurde
berechtigterweise scharfe Kritik von u.a. dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma geäußert. Der
Vorsitzende Romani Rose zeigte sich fassungslos darüber, dass „eine von der Minderheit als
beleidigend abgelehnte Fremdbezeichnung“ in den Öffentlich Rechtlichen reproduziert wurde. Die
Sendung zeige auf, dass „Antiziganismus […] als Problem nicht ernst genommen wird“.

Antiziganismus ist tief in der Gesamtgesellschaft verankert. In der bundesweiten repräsentativen
Leipziger Autoritarismus Studie 2020 stimmten 41,9% der Befragten der Aussage zu, dass sie
Probleme damit hätten wenn sich Sint:ezza und Rom:nja in ihrer Gegend aufhalten. 52,9% gaben
an, dass Sint:ezza und Rom:nja zur Kriminalität neigen würden.
Schon seit dem 15. Jahrhundert wird Sint:ezza und Rom:nja zugeschrieben sich ,ehrlicher Arbeit’
zu entziehen. Diese antiziganistische Vorstellung, bei der Sint:ezza und Rom:nja ,wie Parasiten
vom Menschen leben’, spiegelt sich auch in Bereichen von Asyl und Migration wider. Dieses
Feindbild hat die politische Funktion, die geflüchteten Sint:ezza und Rom:nja generell
als ,problematisch’ und ,gefährlich’ darzustellen. Die stereotype Wahrnehmung
von ,armen’, ,bettelnden’ Sint:ezza und Rom:nja bagatellisiert das Ausmaß ihrer
Existenzbedrohung, Verfolgung und struktureller Diskriminierung und setzt sie pauschal
als ,Wirtschaftsflüchtlinge’ herab. Die antiziganistische Diskriminierung in den Herkunftsländern,
wie der fehlende Zugang zu Lohnarbeit, medizinischer Versorgung, Bildung, politischer
Partizipation und Verwaltungsstrukturen wird im Asylverfahren nicht berücksichtigt. Im Gegenteil,
die Hauptherkunftsländer von Sint:ezza und Rom:nja werden als sogenannte ,sichere
Herkunftsländer’ deklariert. Dies hat zur Folge, dass Asylanträge pauschal abgelehnt werden und
individuelle Fluchtgründe sowie die strukturelle Diskriminierung von Sint:ezza und Rom:nja in
diesen Ländern ignoriert wird.
Durch die Corona-Pandemie haben sich die diskriminierenden Verhältnisse in den
Herkunftsländern weiter verschärft. In den von Rom:nja und Sint:ezza bewohnten Vierteln fehlt
häufig der Zugang zu u.a. Wasser-, Strom- und medizinischer Versorgung. Von den Maßnahmen
zur Pandemie Bekämpfung, wie Masken oder Desinfektionsmitteln, werden Betroffene strukturell
ausgeschlossen. Darüber hinaus erleben antiziganistische Vorurteile gegenwärtig Konjunktur. In
einigen osteuropäischen Nationalstaaten wurden für ganze Rom:njasiedlungen
unverhältnismäßige Ausgangssperren verhängt. Sint:ezza und Rom:nja Rückkehrer:innen aus EU-

Ländern wird pauschal unterstellt, dass sie für die Verbreitung von Covid-19 verantwortlich wären.
Darüber hinaus mehren sich Berichte über gewaltsame Vertreibungen und unterlassene
Hilfeleistung gegenüber Rom:nja und Sint:ezza.
Die strukturelle Diskriminierung setzt sich im deutschen Asylsystem fort. Eine betroffene Klientin
hat die Beratung beim Infobus Ingolstadt aufgesucht, um eine Geburtsurkunde für ihr in München
neugeborenes Kind zu erhalten. Im Verlauf der Recherche erfuhren wir, dass dafür die
Geburtsdokumente der Mutter vorgelegt werden müssen, die die Klientin nicht besitzt. Der Fall
verdeutlicht den fehlenden Zugang zu Behörden in den Herfkunftsländern für Rom:nja und
Sin:tezza und schreibt die strukturelle Diskriminierung in Deutschland fort.
„In unserer Asylberatung berichten uns immer wieder Rom:nja und Sint:ezza über Diskriminierung
von verschiedenen Akteur:innen im Asylverfahren“, so Sabrina Bergmüller vom Münchner
Flüchtlingsrat. Es werden auch immer wieder eklatante Missverständnisse offenkundig, die
eindeutig auf antiziganistische Vorurteile zurückzuführen sind. So suchte eine Roma um Rat
bezüglich eines Schreibens ihrer freiwilligen Rückkehr, welches von der Zentralen
Ausländerbehörde ausgestellt wurde. Diesen Antrag hatte sie so nie gestellt, vielmehr wollte die
Betroffene eine Umverteilung in eine Gemeinschaftsunterkunft. „Die Betroffene äußerte den
Wunsch in gebrochenem Deutsch, wobei sie das Wort ‚Heim‘ öfter verwendete. Auf Russisch wird
Gemeinschaftsunterkunft mit ,Heim’ übersetzt. In diesem Fall wurde die Formulierung als ,nach
Hause’ ausgelegt und eine freiwillige Rückkehr eingeleitet“, fasst Antonia Rode vom Münchner
Flüchtlingsrat zusammen. Ganz offensichtlich handelt es sich hier nicht um ein ,einfaches
Missverständnis’, sondern greift auf antiziganistische Stereotype zurück – Sint:ezza und Rom:nja
würden in die Bundesrepublik kommen um Sozialleistungen zu beziehen. Hierbei geht es um
finanzielle Anreize, die bei freiwilliger Rückkehr in das ,Heimatland’ ausgezahlt werden. Der
berechtigte Anspruch auf ein Bleiberecht in Deutschland für Sint:ezza und Rom:nja wird somit von
behördlicher Seite kategorisch ausgeschlossen.

Wir fordern deshalb:
1. Eine:n Sonderbeauftragte:n für Sint:ezza und Rom:nja in allen relevanten Behörden, so wie
es diese bereits für andere vulnerablen Gruppen gibt.
2. Eine Sensibilisierung aller beteiligten Akteur:innen im Asylverfahren, um auf die
Lebensrealität von Sint:ezza und Rom:nja angemessen reagieren zu können.
3. Eine stärkere Berücksichtigung der strukturellen Diskriminierungen von Sint:ezza und
Rom:nja in ihrem Asylverfahren.

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