Auswirkung auf Abschiebungen

Corona hat verdeutlicht, was in der hiesigen Migrationspolitik schon lange Kurs ist: Abschiebungen haben höchste Priorität. Während die Grenzen in Europa geschlossen werden und somit keine Dublin-Überstellungen möglich sind, versucht das BAMF durch eine Hintertür die Überstellungsfrist im Dublin-Verfahren zu pausieren, anstatt hier lebende Geflüchtete in das nationale Verfahren aufzunehmen. Diese Praxis wird von vielen Organisationen und Gerichten als rechtswidrig aufgefasst, aber wird dennoch weiter praktiziert und nicht alle Geflüchtete können hier ihre Rechte geltend machen, da sich nicht ausreichend beraten werden. Mehr Informationen zur Aussetzung des Dublin-Verfahrens finden Sie hier. Aber nicht nur bzgl. Dublin-Abschiebungen verfährt Deutschland rücksichtslos. Auch Abschiebungen ins Heimatland fanden während und trotz Corona statt. Immer wieder begegnen und ins der Beratung Personen aus Risikogruppen, die abgeschoben werden sollen. Immer wieder fordern wir und andere Organisationen ein Abschiebestopp während der Pandemie und die Gesundheit der Menschen vor die Erfüllung der Abschiebestatistiken zu stellen, doch das Gegenteil scheint der Fall zu sein: Abschiebungen werden um jeden Preis durchgeführt.

Auswirkung im Anker / GU

Zwar sind alle durch Covid-19 betroffen; aber nicht gleichermaßen. Die breit zitierte Aussage „vor dem Virus sind alle gleich“ steht nicht mit vielen realgesellschaftlichen Verhältnissen im Einklang. Ein Beispiel hierfür ist die Situation in den Gemeinschaftsunterkünften: wer in großen Massenunterkünften leben muss, ist eben nicht im gleichen Maße vor dem Virus geschützt.

Viele Missstände in den Massenunterkünften wie fehlende Privatsphäre, kaum vorhandene Selbstbestimmungsrechte und die sozio-kulturelle sowie geographische Isolation von anderen Teilen der Gesamtgesellschaft sind seit Jahren bekannt – sie wurden lediglich durch die Corona-Pandemie sichtbarer. Auch der Bedarf in den Unterkünften hat sich im Zuge der Corona-Pandemie nicht reduziert, im Gegenteil. Das Zugangsverbot der Sozialdienste in den staatlichen Unterkünften für Geflüchtete Ende März 2020 führte zu einer weiteren Prekarisierung der Situation. Zahlreiche Bewohner:innen waren nicht ausreichend über die gegenwärtigen Schutzmaßnahmen informiert. Auch sind viele Bewohner:innen in eine Duldung light gemäß §60b AufenthG reingerutscht (und folglich durften viele nicht mehr arbeiten), da wichtige arbeitsbezogene Termine oftmals aufgrund einer pauschalen (!) und wochenlangen Quarantäne nicht wahrgenommen werden konnten.

An dieser Stelle sei nochmals erwähnt, dass das größte Infektionsrisiko die derzeitige Form der Massenunterbringung ist: „Wenn mehrere Menschen sich ein Zimmer teilen müssen und gezwungen sind, die gleichen Sanitäranlagen, Küchen oder Kantinen zu nutzen, sind schützende Maßnahmen wie räumliche Distanzierung (social distancing) nicht umsetzbar. Bei dieser Form der Unterbringung ist das allgemeine Betretungsverbot für die Sozialdienste aus Infektionsschutzgründen scheinheilig“ (Auszug aus unserer PM vom 3.4.20).

Die allgemeinen Handlungsempfehlungen des Robert-Koch-Instituts bekräftigen, dass das Risiko einer raschen Ausbreitung in Massenunterkünften deutlich höher liegt als in anderen Arten der Unterbringung. Nach einem Todesfall eines 35-jährigen Bewohners in einer Unterkunft in München kritisierte ebenfalls der Ärztliche Kreis- und Bezirksverband München die Zustände in den staatlichen Geflüchtetenunterkünften. Der Kölner Stadtrat hat vor kurzem beschlossen, dass Gemeinschaftsunterkünfte geschlossen werden sollen und eine dezentrale Unterbringung forciert werden muss. Unabhängig von der gegenwärtigen Corona-Pandemie sollte auch in München die dezentrale Unterbringung auf die politische Agenda gesetzt und umgesetzt werden.

Auswirkung bei Arbeit/Ausbildung

Durch die Auswirkungen der Covid19-Pandemie und der Maßnahmen zur Eindämmung ist der Arbeitsmarkt auch in Deutschland enorm unter Druck geraten. Aufgrund der Einschränkungen des Reiseverkehrs und des öffentlichen Leben sind vor Allem Hotel- und Gaststättenbereich stark von den wirtschaftlichen Auswirkungen Corona-Krise betroffen. Dies sind traditionell wichtige Branchen für die Erwerbstätigkeit von Geflüchteten. Bei Kündigungen sind diese überdurchschnittlich hoch betroffen, da Sie häufig befristete Arbeitsverträge haben oder geringfügig beschäftigt sind. Diese Arbeitsformen sind besonders stark von Kündigungen aufgrund der Corona-Situation betroffen (vgl. https://www.bpb.de/politik/innenpolitik/coronavirus/309895/arbeitsmarkt).

Der Verlust des Arbeitsplatzes kann für Geflüchtete auch negative aufenthaltsrechtliche Auswirkungen haben. Vor allem die durch das Migrationspaket 2019 neu geschaffene Option der „Beschäftigungsduldung“ nach §60d AufenthG, die eine mindestens 18-monatige durchgehende Beschäftigungszeit in Vollzeit voraussetzt wird durch den Arbeitsplatzverlust in der Corona-Krise für viele Geflüchtete vermutlich schwerer zu erreichen sein. Auch andere Aufenthaltstitel, wie der Aufenthalt für nachhaltige Integration nach §25b AufenthG, setzen eine eigenständige Lebensunterhaltssicherung voraus. Auch wenn die Ausländerbehörde in München bisher kulant mit Arbeitsplatzverlusten von Geflüchteten in der Pandemie-Zeit umgegangen ist, sind dennoch langfristige negative Auswirkungen auf die Aufenthaltsperspektiven von Geflüchteten  zu erwarten. Vergleichbar ist die Situation am Ausbildungsmarkt, auch hier gab es im Zuge der Corona-Krise einen spürbaren Rückgang der offenen Stellen, insbesondere im Hotel- und Gastronomiesektor.

Eine weitere Problematik entsteht durch die deutlich strengere Praxis der Ausländerbehörden bei der Vergabe von Arbeitserlaubnissen im Zuge des Migrationspakets. So war es für Geflüchtete, die ihre Arbeitsstelle aufgrund von Corona verloren haben, häufig deutlich schwieriger, wieder eine Arbeitserlaubnis für eine neue Stelle zu bekommen. Die Auswirkungen der strengeren Anforderungen an die Identitätsklärung und die Einführung der sog. „Duldung light“ nach §60b AufenthG für Personen mit ungeklärter Identität hat in einer zunehmenden Zahl von Fällen zum Verlust beziehungsweise zur Ablehnung der Neuerteilung der Arbeitserlaubnis geführt.

Ein weiteres, durch die Pandemie verursachtes Problem war die zeitweilige Abwesenheit der Sozialdienste in den Unterkünfte und die über viele Einrichtungen verhängte Kollektivquarantäne, wodurch viele Geflüchtete ihre Arbeitsstellen nicht besuchen konnten. Ebenso eingeschränkt waren dementsprechend die Möglichkeiten zur Suche nach Arbeits- oder Ausbildungsstellen.

Auswirkung auf das Ehrenamt

Die Pandemielage hat auch das Ehrenamt beeinflusst.

Wir konnten feststellen, dass sich viele Menschen in dieser Ausnahmesituation die Sinnfrage gestellt haben. Die derzeitige Pandemie trifft Geflüchtete stärker als andere Teile der Gesellschaft.

Viele Menschen wollten gerade jetzt etwas Sinnvolles machen. Dazu kam, dass einige durch die Kurzarbeit mehr Zeit zur Verfügung hatten.

In manchen Wochen haben wir drei Erstgespräche mit interessierten Ehrenamtlichen geführt. Insgesamt waren es 2020 50 Erstinformationsgespräche.

Bei der Ausführung des Engagements waren Kreativität und Flexibilität gefragt.

Aufgrund der sich immer wieder ändernden Verordnungen herrschte auch teils eine Verunsicherung was, wo und wie noch erlaubt ist.

Ein Teil der Patenschaften, Nachhilfe und der unterstützenden Beratungen wurde über digitale Lösungen fortgesetzt. Was vor Ort oder im Freien noch möglich war, wurde auch so noch ermöglicht. Oft gab es Hybridlösungen.

Der Bedarf an der Unterstützung der Ehrenamtlichen war größer denn je. Die Möglichkeit die Hilfe anzubieten wurde durch die Gegebenheiten in 2020 insgesamt stark erschwert.

Ohne das großartige Engagement aller Freiwilligen wären die bestehenden sozialen Differenzen in der Gesellschaft noch deutlich größer gewesen.

Auswirkung bei Resettlement/ Familiennachzug

Mit Ausbruch der Coronapandemie wurden sämtliche Humanitäre Aufnahmeprogramme, an denen sich Deutschland beteiligt, ab März 2020 vorerst vollständig ausgesetzt. Tausenden Menschen wurde so die Einreise nach Deutschland verwehrt. Auch die für die Erteilung von Visa zum Familiennachzug zuständigen Auslandsvertretungen stellten in nahezu allen Ländern ihren Betrieb ein – Familienangehörige von in Deutschland lebenden Geflüchteten konnten nicht zu ihren Angehörigen nachziehen und harren in den meisten Fällen noch immer in Staaten aus, in denen die Pandemielage noch angespannter ist als in Deutschland. Sowohl das BAMF als auch die beteiligten Auslandsvertretungen handeln überwiegend im Interesse der deutschen Mitarbeiter vor Ort und begründen die Aussetzungen und Verzögerungen damit, ebenso wird in den meisten Fällen darauf beharrt, beispielsweise Sprachzertifikate vorzulegen, obwohl diese in den von der Pandemie noch härter getroffenen Ländern kaum zu erbringen sind. Erst ab Sommer wurde der Familiennachzug als wichtiger Einreisegrund anerkannt und geht trotzdem noch viel zu schleppend voran. Zwar sind auch die Aufnahmeprogramme ab Herbst wieder angelaufen, dies geschah allerdings viel zu zögerlich, so dass die für 2020 zugesagten Kontingente nur zu einem Bruchteil erfüllt werden konnten. Für 2021 wurden keine neuen Kontingente zugesagt.