München, 6.7.2021: Am heutigen Dienstag findet der nächste Sammelabschiebeflug nach Afghanistan statt. Es ist der 40. Abschiebeflug seit Dezember 2016 und der erste seit dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan.
Der Afghanistan-Experte Thomas Ruttig warnt vor dem derzeit signifikanten und beispiellosen Vormarsch der Taliban. Noch mag es sich nicht um einen strategischen Umschwung handeln, dieser sei aber nicht ausgeschlossen, wenn nun vermehrt Provinzhauptstädte an die Taliban fallen. So würden diese bereits auf das Bundeswehrlager Masar-i -Scharif zumarschieren und auch der Druck auf die Hauptstadt Kabul würde zunehmen. Die Friedensgespräche zwischen Taliban und der Regierung sind derweil fallengelassen worden. Der Aufbau von demokratischen Institutionen ist weitgehend gescheitert. Die Sicherheitslage ist nach wie vor desaströs. Nach dem 20-jährigen Bundeswehreinsatz in Afghanistan gilt dieser nun als beendet. Das Auswärtige Amt selbst warnt vor dem Hintergrund des Abzugs internationaler Militärpräsenz vor einer Verschlechterung der allgemeinen Sicherheitslage und ruft deutsche Staatsangehörige auf, das Land zu verlassen. Die Bundesregierung lässt also in ein Land abschieben, was sie selbst nicht für sicher hält.
Zudem sorgt die dritte Corona-Welle in Afghanistan für steigende Todeszahlen. Die Behandlungskapazitäten sind schlecht, in einigen Provinzen ist überhaupt keine intensivmedizinische Versorgung gewährleistet. Die Impfkampagne ist zum Stillstand gekommen.
Eine jüngst veröffentlichte Studie der Sozialwissenschaftlerin Frederike Stahlmann wirft ein Schlaglicht auf die Lebensbedingungen der bereits aus Deutschland abgeschobenen Menschen. So seien die Abgeschobenen in Afghanistan im besonderen Ausmaß von Verfolgung, Gewalt und Diskriminierung bedroht. Die Taliban werfen ihnen aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Verrat vor. Das wiederum gefährdet auch die Familien der Abgeschobenen, weshalb Betroffene es vermeiden, zu ihren Angehörigen zurückzukehren. Hinzu kommt, dass Abgeschobene manchmal noch nie oder zuletzt als Kind in Afghanistan gewesen sind. Die meisten von ihnen finden keine existenzsichernde Arbeit, einige sind obdachlos. So ist es nicht verwunderlich, dass die Mehrzahl der aus Deutschland Abgeschobenen kurze Zeit später erneut fliehen und das Land verlassen. „Menschen nach Afghanistan abzuschieben, bedeutet sie wissentlich lebensbedrohlichen Zuständen und existenzieller Verelendung auszusetzen. Es ist eine Schande, dass das Innenministerium dies veranlasst“, so Helena Grebner vom Münchner Flüchtlingsrat.
Afghanistan ist nach dem Global Peace Index das unsicherste Land der Welt. Wir lassen nicht zu, dass solche Abschiebungen zur Normalität werden und fordern einen sofortigen Abschiebestopp nach Afghanistan!
Für Rückfragen: helena.grebner@muenchner-fluechtlingsrat.de; Tel.: 089-12021715
-
Dachauerstr. 17
80335 München
-
E-Mail
info@mfr.ngo
-
Telefon
089 12390096
-
Telefonsprechzeiten
Mo. 14 - 16 Uhr
Di. & Do. 10 - 12 Uhr