• März 20, 2020

Große Missstände in Aufnahmeeinrichtungen und Sammelunterkünften

Der Münchner Flüchtlingsrat appelliert eindringlich an die beteiligten Behörden, die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Epedemie an die besondere Situation von Geflüchteten in Ankunftszentren und Sammelunterkünften anzupassen und einen humanen Umgang mit den Betroffenen an den Tag zu legen:

  • Schnelle und transparente Schutzmaßnahmen für Menschen in Ankunftszentren

  • Möglichkeiten zum Infektionsschutz und sozialem Abstand für Geflüchtete statt Zwangsisolation und Polizeieinsätze – Schulersatzmaßnahmen auch in Unterkünften

  • Absage aller Termine bei Behörden und Gerichten für Geflüchtete

  • Aussetzung von Fristen und Bescheiden

  • Sofortiger Abschiebestopp

  • Aufnahme von besonders gefährdeten Geflüchteten

Im Ankunftszentrum München in der Maria-Probst-Straße wurden Isolationsmaßnahmen zunächst sehr inkonsequent umgesetzt und keine Vorkehrungen zur adäquaten Versorgung der Personen getroffen. Den isolierten Personen standen keine frische Wäsche und kein Desinfektionsmittel zur Verfügung. 3 Personen wurden zusammen mit einer schwer lungenkranken Person auf ein Zimmer in Isolation gelegt und erst nach 6 Tagen in ein Einzelzimmer verlegt. Zu Beginn gab es eine völlig unzureichende Kommunikation und Aufklärung der Bewohner*innen, was zu Panik führte, die durch Gewalt durch den Securitydienst beantwortet wurde.

Aus dem Ankerzentrum in Bamberg berichten örtlich ansässige Unterstützungsstrukuren, dass dort das Essen bis zumindest gestern (18.03.) in der Kantine von 100 Menschen gleichzeitig eingenommen wurde und es keine ausreichenden Wasch- und Desinfektionsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Gleiches gilt für das Ankerzentrum in Fürstenfeldbruck, auch wenn hier zumindest die Essensausgabe zeitlich verlängert wurde und so die Möglichkeit, Abstand zu halten, eingeräumt wird. Warum dies nicht längst in allen Ankunftszentren umgesetzt wurde, ist aus unserer Sicht nicht nachvollziehbar.

In Suhl in Thüringen wurde eine komplette Sammelunterkunft mit über 500 Bewohner*innen unter Quarantäne gestellt, ohne den Menschen in der Unterkunft geeignete Materialien für Hygiene und Selbstschutz zur Verfügung zu stellen. Nachdem die Abriegelung der Unterkunft zu Unmut unter den Bewohner*innen führte, kam es zu einem äußerst martialischen und brutalen Polizeieinsatz gegen die vermeintlichen Störer (siehe https://www.insuedthueringen). Ein solches Vorgehen von Behördenseite ist nicht hinnehmbar und skandalös.

Die Auswirkungen der Krise zeigen auch die strukturellen Probleme des Konzepts „Ankerzentrum“, auf die Flüchtlingsorganisationen seit Jahren hinweisen: „Wenn ein Corona-Fall in einer Einrichtung unter diesen Umständen auftritt, ist eine Ausbreitung in großem Maß unvermeidlich. Dazu kommt, dass unter den BewohnerInnen eine große Anzahl einer Risikogruppe zuzuordnen ist, für die mit einem schweren Krankheitsverlauf gerechnet werden muss“ (Stellungnahme Bamberger Mahnwache Asyl 18.03.). Eine Eskalation der Lage ist bei fehlender Information, mangelnder Möglichkeit zum Rückzug in private Räume, gemeinsamen Sanitärbereich, dem Fehlen privater Kochmöglichkeiten und der generellen Lebenssituation im Ankerzentrum bei Ausbruch einer Epidemie nicht nur möglich, sondern extrem wahrscheinlich.

Wir fordern die zuständigen Regierungen der Regierungsbezirke daher umgehend auf, Maßnahmen zum Schutz der in den Sammelunterkünften untergebrachten Menschen auf einer individuellen, die Rechte der Betroffenen wahrenden Basis zu gewährleisten. Christian Oppl vom Münchner Flüchtlingsrat fordert: „Mit der Einrichtung von großen Ankerzentren haben die Behörden selbst einen Gefahrenherd geschaffen. Sie müssen daher nun alles in Ihrer Macht stehende tun, um die Menschen dort zu informieren, mit den notwendigen Materialien zu versorgen und vor einer Ansteckung zu schützen. Großangelegte und gewalttätige Umsetzungen von Isolation als Ersatzhandlung für adäquate Schutzmaßnahmen sind ein nicht hinnehmbarer Verstoß gegen die Rechte der Betroffenen“. Den Geflüchteten muss die Möglichkeit eingeräumt werden, sich in ausreichender Privatssphäre und Abstand zu anderen Menschen vor einer Infektion zu schützen. Das heißt auch, dass alle Termine mit Behörden und Gerichten bis auf weiteres ausgesetzt werden müssen. Da Kinder und Jugendliche im Moment wegen der Schulschließungen den Schulstoff selbstständig zu Hause bearbeiten müssen, ist es auch in diesem Bereich wichtig, dass die Strukturen für die Schüler*innen in den Unterkünften geschaffen werden.

Hinzu kommt, dass die Rechtsantrags-Außenstellen der Verwaltungsgerichte, etwa in Ingolstadt, derzeit geschlossen sind. Das Bundesamt stellt aber weiter Bescheide aus, deren Fristen weiterlaufen und rechtskräftig sind. Viele Geflüchtete können nicht gegen Ihre Bescheide klagen, da die Mittel und sprachlichen Fähigkeiten für eine schriftliche Klage fehlen, Asylsozialberatung und offene Beratungsstellen stehen derzeit nicht zu Verfügung. Somit herrscht derzeit kein effektiver Rechtsschutz für Asylsuchende.Wir schließen uns der Forderung an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge an, wie sie bereits von verschiedenen Organisationen gestellt wurden: „Die derzeitige Krisensituation darf nicht zu Lasten der Verfahrensrechte von Asylsuchenden gehen. Wir fordern das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf, keine weiteren Bescheide auszustellen und eine Fristaufschiebung zu ermöglichen, so lange die Rechtsantragsstellen der Verwaltungsgerichte nicht uneingeschränkt arbeiten“ so Christian Oppl vom Münchner Flüchtlingsrat.

Zudem fordern wir die uneingeschränkte Fortführung bestehender Aufnahmeprogramme für Geflüchtete sowie die sofortige Schaffung neuer Programme zur Evakuierung und Aufnahme aus den griechischen Lagern. Eine Ausbreitung des Corona-Virus in überfüllten Lagern wird dramatische Folgen haben, da gerade an diesen Orten keinerlei Ansteckungsschutz oder medizinische Versorgung gewährleistet werden kann. Statt die Aufnahme von schutzbedürftigen Menschen auszusetzen, muss ein genereller Abschiebestopp ausgerufen und der Gesundheit der betroffenen Geflüchteten höchste Priorität eingeräumt werden.

Die Appelle zur Solidarität in dieser Krise der Politik sind richtig – sie dürfen sich aber nicht an Herkunft oder Aufenthaltstiteln beschränken. In der Coronakrise dürfen die Gesundheit und die Rechte von Geflüchteten in ganz Europa nicht auf der Strecke bleiben.

Bei Rückfragen und Presseanfragen können Sie sich an uns wenden:  0151 15151835

Weiterhin möchten wir auf den 6-Punkte Forderungskatalog von Pro Asyl hinweisen und uns diesem anschließen:

https://www.proasyl.de/news/covid-19-und-fluechtlingspolitik-was-deutschland-jetzt-machen-muss/

 

Sowie der Erklärung von Landesflüchtlingsräten, Medibüros und dem Netzwerk Wellcome United:

https://www.fluechtlingsrat-bayern.de/beitrag/items/gesundheitsversorgung-sicherstellen-lager-aufloesen-menschen-und-ihre-rechte-schuetzen.html

 

Categories: Allgemein