Im Oktober 2018 reisten 247 Geflüchtete, die über Niger aus Libyen evakuiert wurden, nach Deutschland ein. Die Aufnahme dieser Personen fand im Rahmen des von Deutschland zugesagten Resettlement-Kontingentes von 10.200 Personen für die Jahre 2018/19 statt. 2017 hatte sich Niger bereit erklärt, Geflüchtete aus Libyen aufzunehmen, die dann auch weiter nach Europa und Nordamerika umgesiedelt werden sollten. Dieser Evakuierungs-Mechanismus funktioniert allerdings nicht so wie geplant, da kaum Umverteilungen zwischen 2017 und 2019 stattgefunden haben: 2.911 Personen wurden seitdem aus Libyen nach Niger ausgeflogen und lediglich 1.700 von ihnen wurden in EU-Ländern, den USA oder Kanada aufgenommen.[1] Gleichzeitig sind immer noch mehrere tausend Menschen in offiziellen und inoffiziellen Internierungslagern in Libyen inhaftiert, in denen sie regelmäßig Misshandlungen, Folter und Zwangsarbeit ausgesetzt sind.[2] Zudem hat sich die Situation für Geflüchtete in den Lagern im Sommer 2019 durch den militärischen Konflikt um die libysche Hauptstadt Tripoli noch einmal drastisch verschärft. So wurden zum Beispiel am 3. Juli 2019 mehr als 50 Geflüchtete bei der Bombardierung des Camps Tajoura getötet.[3]
Da sich die Situation von Geflüchteten in Libyen weiter verschlechtert und die Evakuierung nach Niger nur schleppend umgesetzt wird, weil die Menschen von dort aus nicht weiterverteilt werden, sollen nun Evakuierungen nach Ruanda stattfinden. Ruanda hatte sich bereits im November 2017 dazu bereit erklärt, Geflüchtete aus Libyen aufzunehmen. Nun gibt es dazu eine Absichtserklärung zwischen der ruandischen Regierung, der Afrikanischen Union und dem UNHCR. Das Evakuierungsprogramm soll durch die EU kofinanziert werden. Zunächst sollen dabei 500 Geflüchtete von Libyen nach Ruanda evakuiert werden. Eine Ausweitung auf bis zu 30.000 Personen ist denkbar.[4] Im September 2019 sind die ersten 66 Personen in Ruanda angekommen, weitere 123 Personen im Oktober.[5] Zunächst ist es natürlich begrüßenswert, dass weitere Evakuierungsmechanismen umgesetzt werden, um Menschen aus den libyschen Internierungslagern zu befreien. Andererseits ist es kritisch zu bewerten, dass diese Menschen in ein Land gebracht werden, wo bereits 150.000 Geflüchtete in prekären Verhältnissen leben und staatlicher Gewalt ausgesetzt sind. So wurden beispielsweise in Ruanda im Jahr 2018 bei einem Protest gegen Lebensmittelkürzungen elf Geflüchtete erschossen.[6] Zudem ist unklar, welche Perspektiven die Menschen, die aus Libyen evakuiert wurden, in Ruanda tatsächlich haben werden. Sie erhalten zunächst den Status von Asylsuchenden und als weitere dauerhafte Lösungen nennt der UNHCR alles von Resettlement über Integration in Ruanda bis zu freiwillige Rückkehr in sichere Herkunftsländer – was letztlich bedeutet, dass es vollkommen unklar ist, was die Menschen in Ruanda tatsächlich erwartet.
Die Ko-Finanzierung des Ruanda-Evakuierungsmechanismus durch die EU reiht sich ein in die von der EU verfolgte Politik der Auslagerung von Grenz- und Migrationskontrolle. Dabei scheut sich die EU auch nicht davor, Abkommen mit autoritären Regimen oder Staaten mit fragwürdiger Menschenrechtslage zu schließen, um die Migration nach Europa zu reduzieren. Im Fall von Libyen zeigt sich die scheinheilige und menschenverachtende Abschottungspolitik der EU besonders deutlich: einerseits klagt die EU die menschenverachtenden Zustände in den libyschen Internierungslagern an und kritisiert, dass die libysche Regierung davon profitiert, andererseits finanziert die EU selbst die entsprechenden Akteure, wie zum Beispiel die sogenannte libysche Küstenwache. Eben diese hält Menschen davon ab, über den Seeweg nach Europa zu kommen und schickt sie, nachdem sie auf dem Meer aufgegriffen wurden, wieder zurück in die Internierungslager.
In diesem Zusammenhang ist auch zu kritisieren, dass sowohl auf EU- als auch auf nationaler Ebene zunehmend humanitäre Aufnahmeprogramme nicht nur zum Zweck der Migrationskontrolle instrumentalisiert werden, sondern auch immer wieder gegen das individuelle Recht auf Asyl ausgespielt werden. So äußerte vor kurzem Armin Schuster (CDU), wenn man „irreguläre Migration durch lageangepasste, kurzzeitige und flexible Grenzkontrollen an allen deutschen Grenzen deutlich reduzieren“ würde, bliebe „uns mehr Spielraum für die humanitäre Aufnahme im Rahmen des Resettlement“.[7] Dies verkennt jedoch, dass aktuell nur für 0.3 % der Flüchtenden weltweit ein Resettlement-Platz zur Verfügung steht, was wiederum damit zusammenhängt, dass Staaten freiwillig entscheiden können, ob sie am Resettlement-Programm der Vereinten Nationen teilnehmen wollen.[8] Aus diesem Grund ist auch nicht zu erwarten, dass sich die Aufnahmekontingente in nächster Zeit so bedeutend erhöhen werden, dass sie nur annähernd dem tatsächlichen Bedarf entsprechen würden. Diesem freiwilligen Bereitstellen von Resettlement-Plätzen steht das individuelle Recht auf Asyl gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention gegenüber. In Anbetracht dessen ist es vollkommen inakzeptabel, den Mechanismus, der es einer kleinen Gruppe von Geflüchteten ermöglicht, über humanitäre Aufnahmeprogramme Schutz zu finden, dafür zu nutzen, um nicht-staatlich organisierte, individuelle Fluchtbewegungen zu kriminalisieren.
[1] https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/70779.pdf
[2] https://foreignpolicy.com/2019/10/10/libya-migrants-un-iom-refugees-die-detention-center-civil-war/
[3] https://theglobepost.com/2019/07/24/libya-eu-migration-policy/
[4] https://ffm-online.org/die-option-ruanda/
[5] https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/ruanda-nimmt-fluechtlinge-aus-libyen-auf-16431489.html
[6] https://ffm-online.org/die-option-ruanda/
[7] https://www.wallstreet-online.de/nachricht/11785486-tuerkei-spd-fraktion-tuerkei-fluechtlingspolitik-entgegenkommen
[8] https://blog.fluchtforschung.net/versprechen-gegeben-versprechen-gebrochen-resettlement-zahlen-seit-2016-mehr-als-halbiert/