Chancenaufenthalt und weitere Gesetzesänderungen im Migrationsrecht

Das Jahr 2023 war geprägt durch eine Reihe von gesetzgeberischen Initiativen in verschiedensten Bereichen des Aufenthalts- und Asylrechts, mit unterschiedlichen und teils gegensätzlichen Intentionen. Während die Ampelkoalition mit dem Chancenaufenthaltsrecht und einer Reform der Fachkräfteeinwanderung zentrale migrationspolitische Versprechen aus dem Koalitionsvertrag umsetzte, wurden vor allem in der zweiten Jahreshälfte auch mehrere Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht, die die Rechte von Geflüchteten einschränken.

 

Die Einführung des Chancenaufenthaltsrechts

Am 31.12.2022 ist das Gesetz zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts in Kraft getreten, wonach geduldete Personen, die zum Stichtag 31.10.2022 seit mehr als fünf Jahren ohne Unterbrechung in Deutschland leben und keine größeren Vorstrafen haben, einen 18 Monate gültigen Aufenthaltstitel nach § 104c AufenthG erhalten. Im Anschluss ist ein Übergang in die sog. Integrationsaufenthalte §§ 25a/b AufenthG möglich.

Die Neueinführung dieser Bleiberechtsregelung für Geduldete bildete einen Schwerpunkt sowohl unserer Beratungs- als auch Fortbildungstätigkeit im Jahr 2023 (siehe Kapitel 2).

Grundsätzlich eröffnete das Gesetz vielen langjährig geduldeten Personen eine Perspektive auf einen sicheren, legalen Aufenthalt in Deutschland. Für viele Geflüchtete endete somit ein jahrelanger Wartezustand, häufig verbunden mit Angst vor Abschiebung und Arbeitsverboten.

In der Beratungspraxis zeigte sich jedoch auch, wie viele Personen aus der angedachten Zielgruppe nicht von dem Gesetz profitieren können. Aufgrund des unverhältnismäßig hohen Strafmaßes für aufenthaltsrechtliche Vergehen wie die sog. Passlosigkeit überschreiten viele unserer Klient*innen die im Gesetz festgelegte Grenze von 90 Tagessätzen, auch wenn sie in anderer Hinsicht nie strafrechtlich in Erscheinung getreten sind. Auch wurden uns Fälle bekannt, in denen Ausländerbehörden noch nach der Beantragung des Chancenaufenthalts entsprechende Strafanträge stellten und somit den Übergang in einen Aufenthalt aktiv verhinderten. Dies hätte bei der Formulierung des Gesetzes vermieden werden können, indem aufenthaltsrechtliche Straftaten grundsätzlich außer Betracht gelassen worden wären.

Weiterhin ist zu kritisieren, dass das Gesetz durch den Stichtag als reine Altfallregelung formuliert wurde, also Personen, die erst nach 2017 nach Deutschland gekommen sind, davon nicht profitieren können. Das Problem der sog. Kettenduldung für Personen, die keinen Aufenthalt bekommen, aber auch nicht abgeschoben werden können oder dürfen, wird sich also absehbar reproduzieren.

Eine dauerhafte, niedrigschwellig Bleiberegelung für langjährig Geduldete bleibt folglich weiterhin eine wichtige Forderung an die Politik.

 

Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz

Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz tritt mit unterschiedlichen Regelungen zum Teil am 18.11.2023 in Kraft, weitere Teile werden im März bzw. Juni 2024 in Kraft treten. Ein Großteil der Regelungen betrifft die Einwanderung von Personen mit Berufsqualifikationen und Berufserfahrung aus dem Ausland und hat somit wenig Berührungspunkte mit unserem Beratungsschwerpunkt Flucht und Asyl. Aufgrund der zunächst vorgesehenen Regelungen hätten allerdings weitreichende Möglichkeiten für Personen im Asylverfahren bestanden, in einen Aufenthalt zum Zwecke der Beschäftigung als Fachkraft zu wechseln. Diese Möglichkeit für einen sog. Spurwechsel aus dem Asylverfahren wurde jedoch bei der Verabschiedung des Gesetzes noch durch eine Veränderung im ansonsten thematisch völlig anders gelagerten „Bundesvertriebenengesetz“ wieder verhindert. Eine große Chance, Potenziale von Fachkräften zu nutzen und ggf. auch die Zahl der Asylverfahren zu reduzieren, wurde somit verpasst. Übrig bleibt am Ende nur eine befristete Möglichkeit für Personen, die vor März 2023 eingereist sind, ihr Asylverfahren zurückzunehmen und in einen Fachkräfteaufenthalt zu wechseln, wenn sie alle Voraussetzungen dafür erfüllen.

Auch wenn die von Verbänden und Beratungsorganisationen schon lange geforderte Möglichkeit für einen „Spurwechsel“ damit weiterhin nicht verwirklicht ist, bietet das Gesetz dennoch weitreichende Reformen für einfachere Wechsel zwischen Aufenthaltszwecken und senkt die Hürden für die Erlangung eins Visums aus dem Ausland. Inwiefern dies in der Praxis auch in Hinblick auf die personell zu knapp ausgestatteten deutschen Auslandsvertretungen tatsächlich funktionieren wird, wird sich erst im kommenden Jahr zeigen.

Das Interesse seitens der Fachkräfte und auch von geflüchteten Personen an den gesetzlichen Neuerungen war und ist weiterhin enorm hoch, da die Lage durch die parallellaufenden Gesetzgebungsprozesse auch sehr komplex und intransparent war. Hier bemüht sich der Verein um eine möglichst aktuelle und kompetente Wissensvermittlung und hat 2023 dazu auch zwei Fortbildungsveranstaltungen angeboten.

 

Das Rückführungsverbesserungsgesetz und die Verlängerung des AsylbLG Bezugs

Im Oktober 2023 legte Innenministerin Faeser einen Gesetzesentwurf für das sog. Rückführungsverbesserungsgesetz vor. Das Gesetz enthält nicht – wie öffentlich dargestellt – nur Verschärfungen im Bereich der Durchsetzung von Abschiebungen, sondern schränkt die Verfahrensrechte aller Asylsuchenden ein. Neben weiteren Verschärfungen im Asylgesetz ist dabei insbesondere die Einführung eines neuen Straftatbestands für unrichtige oder unvollständige Angaben im Asylverfahren hochproblematisch.

Bislang waren Angaben im Asylverfahren bewusst geschützt, um einen sicheren Rahmen zum Vortragen der Fluchtgründe zu ermöglichen. Die Betroffenen sind häufig traumatisiert und können nicht gut über das Erlebte sprechen, sind durch die komplizierten Behördenabläufe verunsichert und werden kaum über ihre Rechte und Pflichten aufgeklärt. Hinzu kommen Verständnisprobleme oder Fehler in der Übersetzung.  Bereits jetzt machen wir die Erfahrung, dass das BAMF in einer Vielzahl von Asylverfahren die Betroffenen als nicht glaubwürdig einschätzt. Eine strafrechtliche Verfolgung in diesen Fällen würde somit zu einer massiven Kriminalisierung führen. Nicht nur die Asylsuchenden selbst wären betroffen, auch alle Stellen, die zu den Inhalten des Asylverfahrens beraten, könnten wegen Beihilfe strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Dies betrifft neben den Rechtsanwält*innen der Asylsuchenden auch Beratungsstellen oder Asylsozialdienste.

Auch die weitere Einschränkung der Grundrechte von ausreisepflichtigen Personen kritisieren wir vehement. Die Einschätzung von Expert*innen zeigt, dass diese Maßnahmen die Zahl der Abschiebungen nur unwesentlich erhöhen werden, wohingegen unverhältnismäßig stark repressive Instrumente wie Abschiebehaft ausgebaut werden. Das Gesetz bleibt somit letztlich ein populistischer Akt mit nachteiligen Folgen für alle Asylsuchenden. Ebenso soll nach aktuellen Plänen der Bundesregierung die Bezugsdauer von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) von derzeit 18 auf 36 Monate verlängert werden. Dadurch erhalten geflüchtete Personen noch deutlich länger nur minimale Sozialleistungen weit unter Bürgergeld-Niveau und nur eine rudimentäre medizinische Versorgung. Dies ist insbesondere skandalös, da das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 2012 entschieden hat , dass die Menschenwürde migrationspolitisch nicht zu relativieren und das AsylbLG somit verfassungswidrig sei. Der Versuch, die Flucht nach Deutschland zu begrenzen, indem man Geflüchteten den Zugang zu notwendiger Gesundheitsversorgung verwehrt, ist daher nicht nur unwirksam und menschenverachtend, sondern auch verfassungswidrig. Auch die geplante Einführung einer Bezahlkarte für Asylsuchende, die lokal und auf bestimmte Arten von Geschäften beschränkt werden kann, stellt eine weitere Entrechtung schutzsuchender Menschen dar, die die Lebensumstände von Asylsuchenden prekärer machen wird, ohne einen Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen im Bereich Migration zu leisten.

Die genannten Pläne und Gesetzesvorhaben kritisierte der Münchner Flüchtlingsrat in Pressemitteilungen.

 

Reform der Einbürgerung

Überwiegend positiv bewertet werden kann die Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes, dass in der ersten Jahreshälfte 2024 in Kraft treten soll. Nach dem Gesetzesentwurf müssen Personen ihre bisherige Staatsangehörigkeit bei der Einbürgerung nicht mehr aufgeben und können sich bereits nach fünf statt acht Jahren einbürgern lassen. Bei entsprechenden Integrationsleistungen ist eine Einbürgerung bereits nach drei Jahren möglich, außerdem gibt es Erleichterungen für Personen aus der sog. Gastarbeitergeneration. Zu kritisieren ist die Umformulierung zur erforderlichen Lebensunterhaltssicherung, die die bisherigen Ausnahmen stark einschränkt. Viele Menschen werden betroffen und teilweise dauerhaft von der Möglichkeit, sich einbürgern zu lassen, ausgeschlossen sein. So können zum Beispiel viele Menschen mit einer chronischen Erkrankung oder Behinderung und ihre pflegenden Angehörigen ihren Lebensunterhalt nicht (vollständig) sichern oder in Vollzeit arbeiten. Hier wäre eine sozialverträgliche Härtefallregelung notwendig.

Hinsichtlich der Einbürgerungsreform und auch weil viele Geflüchtete, die in den Jahren 2015 und 2016 nach Deutschland gekommen sind, nun die erforderlichen Aufenthaltszeiten erreicht haben, erhalten wir deutlich mehr Beratungsanfragen zum Thema Einbürgerung als in den Vorjahren. Wir haben das Thema daher in unserer Fortbildungsreihe im Herbst aufgegriffen und hoffen auf verstärkten Austausch mit den zuständigen Behörden.